7. September 2017
von Bürgervereinigung Ehrenfeld
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Alte „Stadt-Kasse von Ehrenfeld“ – Abriss nach 144 Jahren
Das historische „kleine Rathaus von Ehrenfeld“ wurde niedergelegt – Gebäude war bis 1888 Außenstelle des Bürgermeisteramtes der Stadt Ehrenfeld
Ehrenfelds Stadtkölnische Zahlstelle und Sparkassen-Zweigstelle
Das alte Backsteinhaus am Ehrenfeldgürtel 112 existiert nicht mehr. Die Familie von Umbscheiden, denen das Haus und das benachbarte Grundstück gehört, hat den Abriss veranlasst und wird dort neue Wohnungen bauen lassen. Rein formal korrekt, denn eine ordnungsgemäße Abbruch- und Baugenehmigung der Stadt Köln liegt vor. Der Stadtkonservator hatte keine Einwände gegen die Niederlegung des 144 Jahre alten Hauses. Eine Unterschutzstellung gemäß Denkmalschutzgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen wurde abgelehnt. Laut Amt Stadtkonservator erfüllte das Gebäude nicht die notwendigen Kriterien zur Unterschutzstellung, da es im Laufe der Zeit baulichen Veränderungen unterworfen gewesen sei. Dabei wurde der geschichtliche Kontext des Hauses nie wirklich erfasst und gewürdigt. Immerhin gehörte das Haus mit den angrenzenden Gebäuden zu einem Gesamtensemble früher industrieller und städtischer Entwicklung unseres Stadtteils. Argumente, die in diesem Fall die städtischen Denkmalschützer nicht interessierten. Das Bauaufsichtsamt hat Anfang 2017 auf Antrag des Eigentümers die Genehmigung für den Abbruch erteilt. Nun sind die Mauern gefallen.
Das Gebäude wurde im neogotischen Stil um 1873/74 an der damaligen Bahnhofstraße 48 (später Dechenstraße 48, heute Ehrenfeldgürtel 112) erbaut. Bauherr war seinerzeit der Unternehmer August Stange (1823-1897), dessen in den 1860er Jahren begründete Firma Aug. Stange & Co. südlich anschloss. Stange stand später als „Stadtempfänger“ im Dienst der Stadt. Im Adressbuch von 1888 findet sich folgender Eintrag: „Stadt-Kasse“, Stadt-Empfänger: August Stange, Bahnhofstraße 46, 48″. Das Gebäude hatte also behördliche Funktion und war als „Stadt-Kasse“ Außenstelle des Bürgermeisteramtes im Rathaus an der Venloer Straße.
Im Adressbuch aus dem Jahre 1895 findet sich folgender Eintrag: „August Stange, Rendant der stadtkölnischen Zahlstelle und Sparkassen-Zweigstelle, Ehrenfeld, Dechenstraße 48“. August Stange vererbte das Haus an seine Kinder. Seine Tochter Emma war verheiratet mit dem Oberstadtsekretär und Standesbeamten des Bezirks Ehrenfeld, Heinrich Fuchs. Beide bewohnten das Haus nach Stanges Tod ab 1897. Heinrich Fuchs war „Vorsteher der stadtkölnischen Verwaltungsstelle Ehrenfeld“ im alten Rathaus an der Venloer Straße (im 2. Weltkrieg stark beschädigt, 1956 abgerissen). Unter der Rubrik „Ehrung“ heißt es in einer Meldung im Kölner Stadt-Anzeiger vom 5. Oktober 1905: „Am 1. Oktober waren es 25 Jahre, daß der Vorsteher der stadtkölnischen Verwaltungsstelle und des Königlichen Standesamtes, Ober-Stadtsekretär Heinrich Fuchs in Köln-Ehrenfeld als Beamter dort tätig ist. Herr Fuchs, der vorher schon in Westfalen angestellt war, trat allerdings noch unter dem Ehrenfelder Regime ein. Ihm war es vergönnt, bei der rapiden Entwicklung Ehrenfelds tatkräftig als erster Sekretär in der Verwaltung unter Bürgermeister Jesse mitzuwirken. Als 1888 die Eingemeindung erfolgte, blieb der allseitig beliebte und mit den Verhältnissen vertraute, tüchtige Beamte in obengenannter Eigenschaft in Ehrenfeld. Seine Verdienste wurden von Seiten der Stadt Köln durch die spätere Beförderung zum Ober-Stadtsekretär anerkannt…“. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Gebäude Ehrenfeldgürtel 112 in dem sowohl der „Rendant der Zahlstelle Ehrenfeld“ (s. Adressbuch Köln 1891) August Stange bis zu seinem Tod wohnte (s. Sterbeurkunde vom 18. Juni 1897) und in dem später der Standesbeamte und Ober-Stadtsekretär Heinrich Fuchs wohnte (s. Sterbeurkunde seiner Frau Emma vom 9. August 1921) in früheren Zeiten im Volksmund auch als „Rathaus“ oder „Zollhaus“ bezeichnet wurde.
Während nun die Grabstätte von August Stange und dessen Schwiegersohn Heinrich Fuchs auf dem Friedhof Melaten (Alter Ehrenfelder Friedhof, Flur E 4a 4-5) noch existiert und als erhaltenswert eingestuft ist, ist das für die Ortsgeschichte bedeutendere Gebäude am Ehrenfeldgürtel 112 nun abgerissen worden.
Grabstätte Stange/Fuchs auf dem Ehrenfelder Friedhof
Das Haus Ehrenfeldgürtel 112 war eines der letzten Gebäude aus der Gründungszeit Ehrenfelds. 1845 gegründet, gehörte Ehrenfeld zunächst zur Bürgermeisterei Müngersdorf im Landkreis Köln. 1867 wurde Ehrenfeld eigenständige Gemeinde unter Bürgermeister Christian Joseph Leopold Schult (1829 Glessen – 1878 Ehrenfeld). Ehrenfeld war damals schon zu einem bedeutender Standort von Industrie und Gewerbe vor den Toren der Stadt Köln avanciert und strebte selbst das Stadtrecht an. Die Erbauung des Hauses Ehrenfeldgürtel fällt also in die Zeit, als die ab 1867 eigenständige Gemeinde Ehrenfeld das Stadtrecht anstrebte. 1875 in den „Stand der Städte“ erhoben, wurde Ehrenfeld nach zähem Kampf mit den preussischen Institutionen 1879 die „Städte-Ordnung“ verliehen. Das Backstein-Gebäude war also ein letztes bauliches Zeugnis aus der Geschichte Ehrenfelds vor der Eingemeindung nach Köln 1888.
So ging wieder ein Stück altes Ehrenfeld den „Bach runter“. Ich als Vorsitzender der Bürgervereinigung Ehrenfeld habe mich bereits im Sommer 2015 in einem persönlichen Gespräch mit Helga von Umbscheiden für den Erhalt des für die Ortsgeschichte Ehrenfelds bedeutenden Hauses eingesetzt. Da waren die Planungen allerdings schon so weit fortgeschritten, dass in der Sache nichts mehr zu machen war. Auch eine briefliche Intervention bei Oberbürgermeisterin Henriette Reker konnte den Abriss des Hauses letzten Endes nicht verhindern.
Dr. Dieter Brühl
Vorsitzender der Bürgervereinigung Köln-Ehrenfeld, Juni 2017 (bear. 8. Juni 2018)